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Schuldenregel - die "Schuldenbremse" in Rheinland-Pfalz

Rechtlicher Rahmen

Unter der sogenannten „Schuldenbremse“ versteht man die geltende verfassungsrechtliche Regelung zur Begrenzung der (strukturellen) Kreditaufnahme in Deutschland. Sie wurde im Zuge der Föderalismusreform II im Jahr 2009 in Artikel 109 Absatz 3 Grundgesetz in der jetzigen Form verankert und löste die bis dahin gültige Regelung ab. Sie orientiert sich am mittelfristigen Ziel des strukturell ausgeglichenen Haushalts aus dem Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt. Die nähere Ausgestaltung ergibt sich für den Bund aus Artikel 115 Grundgesetz und den darauf aufbauenden einfachgesetzlichen Regelungen. Die Länder regeln die Ausgestaltung im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen selbst.

In Rheinland-Pfalz wurde die neue Regelung zur Schuldenbegrenzung durch eine Änderung von Artikel 117 der Verfassung für Rheinland-Pfalz im Dezember 2010 von den Fraktionen des rheinland-pfälzischen Landtags einstimmig verabschiedet. Rheinland-Pfalz hat damit die neue Schuldenregel als eines der ersten Länder in Landesrecht übertragen. Die rheinland-pfälzische „Schuldenbremse“ wird vom Ausführungsgesetz zu Artikel 117 der Verfassung für Rheinland-Pfalz und von der Landesverordnung über das Verfahren zur Bestimmung der Konjunkturkomponente flankiert.

Struktureller Haushaltsausgleich – von der Konjunkturlage unabhängige Kreditaufnahme als Zielgröße

Die im Grundgesetz bzw. den Landesverfassungen und den sie begleitenden Vorschriften festgelegten Begrenzungsregeln bzw. Höchstgrenzen für die Haushalte von Bund und Ländern zielen auf die sogenannte strukturelle Kreditaufnahme. Damit wird im Wesentlichen auf die von der Konjunkturlage unabhängige Kreditaufnahme abgestellt. Für den Bund gilt diese Regelung bereits seit 2016. Allerdings ist dem Bund eine strukturelle Neuverschuldung von bis zu 0,35% des nominalen Bruttoinlandsprodukts erlaubt. Für die Bundesländer gilt diese Besonderheit nicht. Sie haben ihre Haushalte seit 2020 strukturell auszugleichen. Die Betrachtung der strukturellen Lage ermöglicht es, die Wirkung von lediglich vorübergehenden Effekten auf den Haushalt auszuklammern, etwa in Folge der konjunkturellen Entwicklung oder bestimmter Sondersituationen, aber auch die Wirkung von vermögensneutralen Transaktionen (sogenannte finanzielle Transaktionen). 

Konjunkturbereinigung – stetigere Haushaltspolitik und gesamtwirtschaftliche Stabilisierungswirkung des Budgets

Insbesondere die Steuereinnahmen des Staates schwanken im Konjunkturablauf. Zur Stabilisierung der Konjunktur ist es sinnvoll, wenn der Staat sich in seinem Ausgabeverhalten nicht an diesen schwankenden Einnahmen, sondern an einem über den Konjunkturverlauf mittleren Normalniveau orientiert. 
Das Grundgesetz und die Landesverfassung sehen daher Ausnahmeregelungen insbesondere zum Ausgleich konjunkturbedingter Defizite vor. Eine Neuverschuldung zum Ausgleich von Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung auf den Haushalt (in Höhe der Konjunkturkomponente) ist folglich zulässig. Die Auswirkungen sind hierbei im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass konjunkturbedingte Kredite im Falle eines Abschwungs bis zur Höhe der Konjunkturkomponente möglich sind. Im Aufschwung sind entsprechend Tilgungen zu leisten. 

Wird der Konjunkturverlauf und seine Wirkung auf den Haushalt im Rahmen der Schuldenregel nicht symmetrisch herausgenommen, so kann sich zum einen keine gesamtwirtschaftliche Stabilisierungswirkung des Budgets entfalten. Nur wenn der Konjunkturverlauf berücksichtigt wird, kann erreicht werden, dass im Abschwung, wenn weniger Steuereinnahmen zur Verfügung stehen, konjunkturell bedingte Defizite zugelassen werden; die andernfalls zum Haushaltsausgleich notwendigen Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen wären konjunkturell schädlich und würden den Abschwung weiter verstärken. Im Aufschwung müssen dann Überschüsse aufgrund konjunkturbedingt höherer Steuereinnahmen erzielt werden, um die konjunkturell bedingte Verschuldung zu tilgen. 

Durch dieses Vorgehen wird zum anderen eine stetigere Haushaltspolitik ermöglicht, da so z.B. im Abschwung zunächst keine ausgeprägten ad hoc-Maßnahmen zur Konsolidierung (Ausgabensenkungen oder Steuererhöhungen) im Rahmen der Schuldenbegrenzungsregel nötig sind. Spiegelbildlich stehen im Aufschwung erzielte konjunkturbedingte Mehreinnahmen folglich auch nicht für dauerhafte Steuersenkungen oder neue Ausgabenprogramme zur Verfügung. Bei einem ausgewogenen Konjunkturverlauf wird durch die symmetrische Berücksichtigung des Konjunkturverlaufs erreicht, dass über einen kompletten Konjunkturzyklus hinweg keine neue Verschuldung entsteht.

Der Vorzug der Schuldenregel besteht also darin, dass sie zwischen der strukturellen Lage der öffentlichen Haushalte und lediglich vorübergehenden Effekten, die Folge der konjunkturellen Entwicklung oder auch bestimmter Sondersituationen sind, differenziert. Anders formuliert: neue dauerhafte Haushaltsbelastungen, seien sie einnahme- oder ausgabebedingt, müssen auch in der konjunkturellen Normallage ohne strukturelle Kreditaufnahme finanzierbar sein.

Konjunkturneutrale Lage kann empirisch nicht unmittelbar beobachtet werden – Schätzverfahren notwendig

Die strukturelle Haushaltsbetrachtung soll die Haushaltssituation in der konjunkturellen Normallage abbilden. Die konjunkturelle Normallage lässt sich allerdings nicht unmittelbar empirisch beobachten; daher sind alle Konjunkturbereinigungsverfahren auf Schätzungen angewiesen. Gewisse Schätzschwankungen sind deshalb unvermeidlich, d.h. alle Schätzverfahren weisen eine gewisse Unschärfe auf. In der Folge sind die Ergebnisse unterschiedlicher Verfahren – erst recht für einzelne Jahre – nur eingeschränkt vergleichbar. Wichtigste Anforderung ist, dass die Verfahren über den Zeitverlauf symmetrisch wirken. 

Es gibt zwei grundlegende Verfahren. Dies sind zum einen Verfahren, die unmittelbar an der Gesamtwirtschaft, d.h. am Bruttoinlandsprodukt (BIP), ansetzen. Hier wird durch Differenzbildung zwischen tatsächlichem BIP und potenziellem BIP die Outputlücke bzw. die Abweichung von der konjunkturellen Normallage (Über- oder Unterauslastung der Produktionskapazitäten) ermittelt. 

Die zweite Gruppe von Verfahren setzt unmittelbar bei den Steuereinnahmen an, in deren Höhe sich (bei den Ländern) ganz überwiegend die Auswirkungen der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung niederschlagen. Hierzu gehört auch das in Rheinland-Pfalz angewandte Steuertrendverfahren. Beide Verfahren sind anerkannt, bergen jedoch – je nach Ausgestaltung – jeweils unterschiedliche Vor- und Nachteile, siehe hierzu Deutsche Bundesbank, Monatsbericht März 2017, Zur Konjunkturbereinigung der Länder im Rahmen der Schuldenbremse, (S. 35 – 58),

Die Konjunkturbereinigung im Rahmen der „Schuldenbremse“ in Rheinland-Pfalz

Rheinland-Pfalz hat sich im Rahmen seiner grundgesetzlich gesicherten Haushaltsautonomie und im Einklang mit der grundgesetzlich festgelegten „Schuldenbremse“ für ein Steuertrendverfahren entschieden. Dieses Steuertrendverfahren berücksichtigt, dass die Länderhaushalte – anders als der Bundeshaushalt – von der Konjunktur fast ausschließlich auf der Einnahmeseite betroffen sind, und misst die konjunkturellen Effekte auf den Landeshaushalt unmittelbar an der Veränderung der Steuereinnahmen. Die Steuereinnahmen in der konjunkturellen Normallage (strukturelle Steuereinnahmen) werden auf Basis eines mehrjährigen (gleitenden) Durchschnitts ermittelt. Sie stellen die mittleren Einnahmen bzw. den mittleren Einnahmepfad dar, der dem Land abseits konjunktureller Einflüsse zur Verfügung steht. Auf Basis dieser strukturellen Steuereinnahmen wird dann die Konjunkturkomponente bestimmt.

Konjunkturbereinigung im Detail – Die Bestimmung der strukturellen Steuereinnahmen

Im Einzelnen ergibt sich im Rahmen des rheinland-pfälzischen Konjunkturbereinigungsverfahrens die Konjunkturkomponente aus der Differenz zwischen den veranschlagten Steuereinnahmen und den erwarteten Steuereinnahmen in der konjunkturellen Normallage. Die Steuereinnahmen in der konjunkturellen Normallage sind jeweils mit einem Regelfortschreibungsfaktor fortzuschreiben, der sich aus der durchschnittlichen Wachstumsrate der Steuereinnahmen des Landes (ohne Rechtsänderungen) im vorangegangenen Konjunkturzyklus (Achtjahreszeitraum) errechnet. Nach Anwendung des Fortschreibungsfaktors auf die strukturellen Steuereinnahmen sind die finanziellen Auswirkungen zu addieren, die sich im Vergleich zu den strukturellen Steuereinnahmen des Vorjahrs durch Rechtsänderungen ergeben. 

Außerdem sieht das Konjunkturbereinigungsverfahren einen regelbasierten Korrekturmechanismus vor, der Fehlschätzungen hinsichtlich der konjunkturellen Normallage ausgleicht und auch die Symmetrie des Bereinigungsverfahrens im Ist-Ergebnis sicherstellen soll (§ 3 Ausführungsgesetz). Der Regelfortschreibungsfaktor wird dabei um Zu- oder Abschläge erhöht bzw. vermindert. Die Höhe dieser Zu- und Abschläge ist mit dem Stand des Symmetriekontos (§ 5 LVO) verknüpft. Hier werden die seit Beginn der Konjunkturbereinigung im Jahr 2012 festgestellten Konjunkturabweichungen erfasst. 

Einhaltung der Symmetrie im Steuertrendverfahren wird durch regelgebundenen Korrekturmechanismus (Symmetriekonto) nachgehalten

Durch die Implementierung eines Symmetriekontos, in dem die tatsächlichen (positiven und negativen) Konjunkturabweichungen festgehalten werden, wird dem Symmetriegebot Rechnung getragen, und es werden so Fehleinschätzungen hinsichtlich der konjunkturellen Normallage ausgeglichen. Die Einhaltung des Symmetriegebots ist das wichtigste Ziel jedes Konjunkturbereinigungsverfahrens, d.h. konjunkturellen Mindereinnahmen im Abschwung stehen konjunkturelle Mehreinnahmen im Aufschwung gegenüber, die sich bei ausgewogenem Konjunkturverlauf über die Zeit ausgleichen.

Im rheinland-pfälzischen Steuertrendverfahren greift im Zusammenspiel mit dem Symmetriekonto ein automatischer Korrekturmechanismus, wenn die positiven oder negativen Abweichungen zu groß werden und festgelegte Schwellenwerte über- oder unterschritten werden. Hierdurch wird die Fortschreibung des Einnahmenpfads (strukturelle Steuereinnahmen) regelgebunden erhöht oder vermindert. Die Fortschreibung wird durch einen Zuschlag verstärkt, wenn es vermehrt zu positiven Abweichungen in den zurückliegenden Jahren gekommen ist, bzw. vermindert, wenn es vermehrt zu negativen Abweichungen gekommen ist. 

Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Erfüllung des Symmetriegebots ist es daher methodisch schwierig, sich einzelne Jahre herauszunehmen und die Werte der Konjunkturkomponente der verschiedenen Verfahren zu vergleichen. Im Unterschied zu anderen Verfahren, die ausschließlich an der jährlichen Produktionslücke ansetzen, ist das Steuertrendverfahren deutlicher weniger revisionsanfällig. Hier bleiben die strukturellen Steuereinnahmen eines Jahres während des gesamten Haushaltsjahres (ohne Nachtragshaushalt) unverändert. Damit bietet das Steuertrendverfahren eine bessere Planungssicherheit. Bei einem ausgewogenen Konjunkturverlauf bewahrt es in konjunkturellen Schwächephasen die Handlungsfreiheit des Landes, In Zeiten einer Hochkonjunktur fordert es im Gegenzug, konjunkturelle Tilgungen in entsprechendem Maße vorzunehmen. Im Steuertrendverfahren ist die Schwankungsbreite der strukturellen Steuereinnahmen i.d.R. geringer; im Ergebnis kommt es zu einer stärkeren Glättung des (konjunkturbereinigten) Einnahmepfads. Spiegelbildlich werden damit i.d.R. stärkere Konjunkturabweichungen festgestellt als in den Produktionslückenverfahren. (zur Frage Symmetrieeigenschaft von Konjunkturbereinigungsverfahren siehe Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2012 (S. 70ff), sowie Monatsbericht April 2019 (S: 84)).

Ausnahmen für Naturkatastrophen und außergewöhnliche Notsituationen

Darüber hinaus sind Ausnahmeregelungen für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen (z.B. die Corona-Pandemie im Jahr 2020), zulässig. Hierfür bedarf es einen Beschluss des Landtages. Für diese Kreditaufnahme ist eine konjunkturgerechte Tilgung vorzusehen. 

Finanzielle Transaktionen

Einnahmen des Staates, die durch Vermögensveräußerungen entstehen sind nicht geeignet dauerhafte Ausgaben zu finanzieren. Ausgaben, die einen Vermögenserwerb darstellen, sind bei einer nachhaltigen strukturellen Betrachtung anders zu bewerten als laufende Ausgaben. Einnahmen und Ausgaben werden daher in der „Schuldenbremse“ um vermögensneutrale Transaktionen (sogenannte finanzielle Transaktionen) bereinigt, da diesen Transaktionen ein entsprechender Vermögenswert gegenübersteht. Einnahmen zum Beispiel aus der Veräußerung von Vermögen des Landes werden nicht zu den strukturellen Einnahmen gezählt und tragen folglich nicht zur Einhaltung der Vorgabe des strukturellen Haushaltsausgleichs bei.

Tilgung bei übernommenen Liquiditätskrediten der Kommunen

Mit Einfügung von Absatz 4 in Artikel 117 sowie Artikel 143e der Verfassung für Rheinland-Pfalz wird klargestellt, dass das Land Liquiditätskredite der Kommunen übernehmen und diese so beim Schuldenabbau unterstützen kann. Die Regelungen zum strukturellen Haushaltsausgleich werden durch die Übernahme nicht berührt. Die übernommenen Liquiditätskredite sind über höchstens 30 Jahre zu tilgen. Diese Tilgungszahlungen werden bei der Berechnung der strukturellen Nettokreditaufnahme/-tilgung neutralisiert. Hierdurch wird erreicht, dass im Zuge der Tilgungspflicht kein zusätzlicher Kreditaufnahmespielraum entsteht. 

Kontrollkonto

Durch das Kontrollkonto, das als Verrechnungskonto konzipiert ist, wird die Einhaltung der Schuldenregel auch im Haushaltsvollzug sichergestellt. Dort werden Abweichungen, die sich durch unvorhergesehene Abweichungen von der Vorgabe des strukturell ausgeglichenen Landeshaushalts im Vollzug ergeben transparent erfasst und dokumentiert. Überschreitet das Kontrollkonto hinsichtlich möglicher aufgelaufener übermäßiger Kreditaufnahme im Vergleich zu den Vorgaben der „Schuldenbremse“ eine festgelegte Obergrenze, so ergibt sich hieraus eine Abbauverpflichtung für zukünftige Haushaltsjahre.

Fundstellen der Gesetzesänderungen